Autorin / Video: Fanny Pohontsch

#diensttalk mit Dipl.-Chem. Hans-Jürgen Friedrich: Mission Grubenwasser – der Schatz unter Tage

Grubenwasser könnte zukünftig für Industrie und Landwirtschaft nutzbar werden. Forscher testen in den Tiefen der Zinnerzgrube Ehrenfriedersdorf Reinigungstechnologien – eine Chance für die Region und die Umwelt.

Ich sehe einen Mann der einen Anzug trägt und eine Brille.
© Fraunhofer IKTS
Dipl.-Chem. Hans-Jürgen Friedrich forscht in der Gruppe Technische Elektrolyseverfahren und Geothermie

Wenn Fraunhofer-Forscher Hans-Jürgen Friedrich zu seinem unterirdischen Labor will, muss er mehr als 100 Meter tief hinab ins Besucherbergwerk Zinnerzgrube Ehrenfriedersdorf. Manchmal kann er, unten angekommen, aus der Seilfahrtsanlage gleich in die Grubenbahn umsteigen – ein rostiges Überbleibsel aus dem Bergbau in der Vorwendezeit.

»Bisschen eng, aber viel komfortabler als zu Fuß«, ruft der 1,90-Meter-Mann geduckt aus der engen Kabine und zieht sich seinen gelben Schutzhelm fest. Noch anderthalb Kilometer bis zu seinen Testanlagen. Die Abteile rattern dröhnend. Es ist dunkel. Nur in Kurven tauchen schwache Lampen die Umgebung in fahles Licht. Meistens läuft Friedrich, weil die Bahn dann mit Touristen besetzt ist. Sein Ziel ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.

 

Giftiges Wasser belastet die Natur

Der Stollen ist kaum breiter als die Bahn. Neben dem Gleis fließt Grubenwasser. »Hier steigt es schonmal kniehoch an, gerade jetzt zur feuchten Jahreszeit«, erklärt Friedrich, als die Bahn schließlich an einer Absperrung aus Beton hält und er mit seinen Gummistiefeln ins Nass tritt. Um genau dieses Wasser geht es dem Chemiker.

»Danke Heiko«, winkt er dem Bergmann zum Gruß, der die Grubenbahn kurz darauf wieder mit schwerem Hebel in Bewegung setzt. Bis auf das Wasser, das im Takt von der Decke auf etwas Metallisches tröpfelt und am Boden rauschend fließt, ist nach wenigen Minuten nichts mehr zu hören. Stille. Die Stirnlampe wirft einen Lichtkegel an die grau marmorierten Gesteinswände. Sie schimmern feucht. Auch hier bildet das plätschernde Wasser einen zarten Film. »Das Weiße hier, das sind Zinnadern«, sagt Friedrich. Er zeigt auf die Felsstrukturen. »Hier ist auch das sogenannte verritzte Gebirge gut zu erkennen.« Damit meint er die vielen Risse, Adern und zerklüfteten Stellen, die vor Jahrzehnten durch den Zinnerzabbau entstanden sind. Sauerstoff greife hier an. Zusammen mit dem Regen- und Schmelzwasser, das oben am Boden versickert und in das Grubengebäude eindringt, sei dies die Formel, wodurch sich Schadstoffe im Gestein lösen: Das Grubenwasser hier enthält hohe Mengen an Fluorid und giftigem Arsen. Draußen mündet es im Flüsschen Wilisch, fließt weiter in die Elbe und schließlich in die Nordsee – mitsamt den Schadstoffen. Über eine Tonne Arsen belaste damit pro Jahr die Natur, sagt der Wissenschaftler.

 

recomine-Bündnis stellt sich Bergbau-Altlasten

Seit dem Mittelalter wurde in Ehrenfriedersdorf nach Zinn geschürft, später gesprengt, bis im Oktober 1990 der »Letzte Hunt« gefördert und das Bergwerk geflutet wurde. Seither gelangt das Grubenwasser durch einen natürlichen Überlauf an die Oberfläche.

Um bergbaugeschädigte Standorte nachhaltig zu sanieren und die ökologischen Folgeschäden einzudämmen, schlossen sich im Jahr 2019 zahlreiche Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Behörden der Umwelt- und Ressourcentechnologie aus dem erweiterten Erzgebirge zum Bündnis »recomine – rethinking resources« zusammen. Unterstützt wird das Bündnis vom Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF aus dem Förderprogramm »WIR! – Wandel durch Innovationen in der Region«. Heute verzeichnet recomine knapp 100 Partner. Darunter das Team um Hans-Jürgen Friedrich vom Fraunhofer-Institut in Dresden, der das recomine-Teilprojekt TerZINN leitet.

 

Das Labor unter Tage

Friedrich stapft einige Schritte und schaltet mit routiniertem Griff mehrere Baustrahler an. Pumpen, Schläuche, Metallzylinder und Messgeräte reihen sich auf einem hüfthohen Tisch aus Gitterrosten aneinander. Aktuell testet er, wie sich die die Gifte mittels einer Elektrolyse einfangen lassen. Das Verfahren arbeitet mit elektrischer Spannung. Diese bewirkt, dass gelöste Schadstoffe im Wasser feste, besser filterbare Partikel bilden. Doch nicht alles, was in der Theorie funktioniert, klappt unter realen Bergwerkbedingungen. Besonders die Temperaturen um die acht Grad und die hohe Luftfeuchtigkeit seien herausfordernd – Pumpen bräuchten mehr Kraft, die Stromversorgung sei anfällig und bedürfe 50 Prozent mehr Leistung als im Labor, kürzere Wartungszyklen, Korrosion. Ein Fernmonitoring gibt es nicht – jede Untersuchung erfordert Fahrten zwischen Dresden und Ehrenfriedersdorf: »Wir erhalten so verlässliche Ergebnisse unter realen Bedingungen«, sagt Friedrich.

Ende dieses Jahres soll das Projekt abgeschlossen sein. Sollte das Verfahren im großen Maßstab umgesetzt werden, müssten die Aufbereitungsanlagen aus rechtlichen und energetischen Gründen ebenfalls unter Tage bleiben. Ob es dazu kommt? Bislang ist ungeklärt, wie die großtechnische Anlage zur Giftabscheidung finanziert werden soll.

 

Sauberes Wasser für Landwirtschaft und Industrie

Die Umweltbelastung zu verringern ist nur ein Aspekt, der Friedrich antreibt. Sein Ziel: Kostengünstige Verfahren entwickeln, mit denen das Wasser so aufbereitet werden kann, dass es für höherwertige Zwecke geeignet ist. Denn für die Bewässerung in der Landwirtschaft, zur Trinkwassererzeugung und für industrielle Prozesse ist das giftige Grubenwasser nicht nutzbar. Angesichts der Wasserknappheit in vielen Regionen schaue man daher wieder verstärkt auf solche Quellen.

Mit »wieder« meint Friedrich die Anfänge seiner Karriere zu DDR-Zeiten. Damals war es von wissenschaftlichem und wirtschaftlichem Interesse, Rohstoffe aus Bergbauwässern zurückzugewinnen und Metalle aus Bergbaurückständen zu extrahieren. »Die DDR war auf die Eigenversorgung mit Rohstoffen angewiesen, Importe waren kaum möglich. In Rossendorf schafften wir damals schon große technologische Sprünge – bis mit der Wende schließlich ein Großteil eingestampft wurde.« Die Hoffnung, aus dem Grubenwasser wertvolles Zinn und Wolfram zu gewinnen, erwies sich leider als unrentabel. Großes Erlöspotential biete das Wasser selbst. Immerhin geht es um zwei Millionen Kubikmeter – pro Jahr.

 

Bürgermeisterin Silke Franzl bestätigt hohes öffentliches Interesse

Friedrich und sein Team setzten alles daran, eine Genehmigung für einen Sonderbetriebsplan nach Bundesberggesetz zu erhalten, um unter Tage forschen zu dürfen. Ein dreiviertel Jahr dauerte es, bis alle Genehmigungen vorlagen. »Das war ein langer Weg«, sagt Friedrich. Die Zusammenarbeit mit dem Sächsischen Oberbergamt Freiberg und der Unteren Wasserbehörde des Erzgebirgskreises war entscheidend. Silke Franzl, Bürgermeisterin der Gemeinde Ehrenfriedersdorf (parteilos) bestätigt in einer Mitteilung des Konsortiums das hohe öffentliche Interesse: »Die Menschen in Ehrenfriedersdorf und Umgebung hoffen auf Innovationen, die für sauberes Wasser sorgen. Der Fokus liegt für uns auf dem Wunsch, die Schadstoffe aus den Bergbauwässern und Böden zu entfernen, um die negativen Auswirkungen für Mensch und Umwelt, aber auch die enormen finanziellen Aufwendungen zu minimieren.« Zum Beispiel verzeichne die Gemeinde einen hohen Arsen-Gehalt in ihren Klärschlämmen, die als teurer Sondermüll entsorgt werden müssen.

Friedrich öffnet seinen Rucksack. Er holt Kunststoffröhrchen und Filzstift heraus, markiert die Probenröhrchen handschriftlich. Datum, Nummer eins, Ablauf. Aus einem dünnen Schlauch, der in eine Art Regentonne führt, entnimmt Friedrich eine bereits elektrolytisch behandelte Wasserprobe. Später im Institut in Dresden sollen die gereinigten Proben auf die Abtrennraten hin untersucht werden. »Ein Liter unbehandeltes Grubenwasser enthält hier rund 300 Mikrogramm Arsen.« Zum Vergleich: Die zulässige Höchstmenge Arsen in Trinkwasser liegt in vielen Ländern nach Maßgabe der Weltgesundheitsorganisation WHO bei zehn Mikrogramm pro Liter.

 

In Ehrenfriedersdorf erprobte Technologien auch international interessant

Seit anderthalb Jahren befindet sich Friedrich bereits im Ruhestand – eigentlich. Doch er hält fest an seiner Vision zu zeigen, dass geschädigte Bergbaustandorte wieder in Wert gesetzt werden können: »Ja, ich bin Rentner. Glücklicherweise sind die Weichen so gestellt, dass ich der fachlichen Arbeit noch etwas erhalten bleiben darf.« Dafür sitzt er mit Freistaat, Landkreis, Stadt und Standorteigner nun an einem Tisch, um Entwicklungsmöglichkeiten für das traditionsreiche Ehrenfriedersdorf zu diskutieren: Auf dem Haldengelände seien großflächig Photovoltaikanlagen geplant. Auch Wasserstoff sei im Gespräch. »Dafür brauchen wir erneuerbaren Strom – Sonnenenergie in dem Fall – und sehr reines Wasser in nicht unerheblichen Mengen.« Und weil sich das ja nicht aus dem örtlichen Netz abzwacken lässt, ist Friedrich zuversichtlich, mit seinen Technologien und dem hier verborgenen »Wasserschatz«; wie es das Grubenwasser hoffnungsvoll bezeichnet, viel bewegen zu können.

Auch international dürften die in Ehrenfriedersdorf erprobten Reinigungsverfahren interessant sein, denn belastete Grubenwässer sind ein weltweites Problem.

Friedrich verstaut die Probenröhrchen in seinem Rucksack. Es geht zurück. Diesmal zu Fuß, drei Kilometer. Bergmann Heiko Wendsche empfängt Friedrich an der Seilfahrtsanlage. Der Korb aus schweren Eisenstangen schließt. Wendsche schlägt die Signalglocke zweimal. Die Männer plaudern. Man brauche ganz schön Kondition. Deswegen freut sich Hans-Jürgen Friedrich auf das Basketball-Training mit seiner Freizeitmannschaft heute Abend. »Muss ja fit bleiben«, sagt er und nimmt, oben angekommen, seine Seilfahrtsmarke von der Tafel.

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