Autorin: Fanny Pohontsch

#diensttalk mit Dr. Matthias Jahn über grünen Wasserstoff und den Dialog in Zeiten des Strukturwandels

Das Mitarbeiterporträt am Dienstag. Beim #diensttalk geben Mitarbeitende einen kleinen Einblick hinter die Kulissen Europas größter Einrichtung für Keramikforschung und verraten, was sie bei ihrer Forschung antreibt.

Dr. Matthias Jahn leitet seit 2013 die Abteilung Chemische Verfahrenstechnik am Fraunhofer IKTS. Parallel lehrt der Berliner als Privatdozent an der TU Dresden, engagiert sich politisch und gesellschaftlich. Sein fachlicher Schwerpunkt liegt bei der Entwicklung von Verfahren zur Vermeidung und Nutzung von industriellen CO2-Emissionen unter Einsatz keramischer Elektrolysetechnologien.

 

Ist grüner Wasserstoff der Energieträger der Zukunft?

Es ist beschlossen, dass wir bis 2038 komplett aus der Braunkohle aussteigen werden. Der damit einhergehende Strukturwandel muss verbunden sein mit dem konsequenten Ausbau der erneuerbaren Energien. In diesem Kontext wird Wasserstoff eine starke Bedeutung haben müssen, weil wir den Wasserstoff nicht nur im Bereich Mobilität und als Speichermedium benötigen, sondern auch in Industrieprozessen, wie z. B. der Stahlindustrie: Hier kann durch den Einsatz von grünem Wasserstoff Kohle als Reduktionmittel ersetzt werden. Damit können CO2-Emissionen um bis zu 95 Prozent gesenkt werden. Derzeit liegen die Herstellungskosten von grünem Wasserstoff allerdings noch sehr hoch, bei etwa 4,50 €/kg. Aber wenn die regulatorischen Rahmenbedingungen für den Markthochlauf angepasst sind und wir auf Basis des am Mittwoch mit der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) verabschiedeten Maßnahmenkatalogs in der Technologieentwicklung und mit dem Aufbau der Infrastruktur vorankommen, sinken die Herstellkosten nach unseren Berechnungen auf ca. 2,50 €/kg. Unter Berücksichtigung der steigenden CO2-Zertifikatskosten kann bis 2050 die Herstellung von Rohstahl mit dem Verfahren der Direktreduktion unter Einsatz von Wasserstoff konkurrenzfähig zur konventionellen Herstellung im Hochofen sein.

 

Wie wird grüner Wasserstoff hergestellt und konkret genutzt?

In der Wasserstofferzeugung ist Elektrolyse die zentrale Technologie. Studien gehen von einem Wachstum der installierten Kapazität auf 50 bis 80 GW bis 2050 aus. Dafür müssen umgehend jährliche Zuwachsraten der Elektrolyseurkapazität im zweistelligen MW-Bereich und bis Ende der 2020er Jahre im Bereich von 1 GW erreicht werden. Wir haben in Sachsen mit der sunfire GmbH eins der innovativsten Energieunternehmen weltweit, insbesondere im Bereich der Hochtemperaturelektrolyse, mit Energy Saxony ein führendes Energiecluster und jahrzehntelange Erfahrungen in der Komponenten-, Verfahrens- und Systementwicklung an den ansässigen Fraunhofer-Instituten. Sachsen hat sich damit Kompetenzen erarbeitet, mit denen die gesamte Wertschöpfungskette für die Bereitstellung von grünem Wasserstoff abgedeckt wird – angefangen bei Zellen bzw. Bipolarplatten und Stacks, über Brennstoffzellensysteme und Elektrolyseure.

 


»Für eine Akzeptanz der erneuerbaren Energien reicht es nicht aus, wenn der Bus grün wird, sondern er muss auch auf dem Land öfter fahren.«


 

Was die Nutzung angeht, so ist doch die Frage: Wie viel erneuerbare Energie haben wir in Zukunft zur Verfügung? Über allem steht eben auch eine Erhöhung der Effizienz. Schauen wir uns den Mobilitätssektor an: Hier heißt das z. B., dass der öffentliche Nahverkehr gestärkt werden muss, um mit den vorhandenen Ressourcen an erneuerbaren Energien in Zukunft auch für alle bezahlbare Mobilität gewährleisten zu können. Der effizienteste Weg in der Mobilität ist in der Regel die direkte Elektrifizierung. Daneben gibt es aber Bereiche wie den Schwerlast- oder Bahnverkehr – da, wo die Strecken nicht elektrifiziert sind – dort wird Wasserstoff eine starke Rolle spielen. Im Bereich des Luft- und Schiffverkehrs ist es wiederum so, dass wir auch langfristig auf flüssige Energieträger angewiesen sein werden. Synthetische Kraftstoffe können dort eine sinnvolle Ergänzung sein. Also: Wir werden auch in Zukunft einen Mix aus direkter Elektrifizierung, aus Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen brauchen.

 

Über welche Kompetenzen verfügt das IKTS hinsichtlich der Wasserstofftechnologien?

Womit wir uns am IKTS beschäftigen, sind a) die Entwicklung keramischer Zellen, b) das Stackdesign für den Langzeiteinsatz in Elektrolyseuren – aktuell sind 4500 Stunden mit sehr niedriger Degradation nachgewiesen – und c) die Systemintegration zur Kopplung der Elektrolyse mit chemischen Synthesen. So können einerseits aus Synthesegas (Wasserstoff und Kohlenmonoxid) Strom und Wärme bereitgestellt werden. Andererseits können im umgekehrten Betriebsmodus aus unvermeidbarem CO2 und Wasserdampf Wasserstoff und Kohlenmonoxid für die Synthese höherer Alkohole, Wachse oder synthetische Kraftstoffe erzeugt werden. Das heißt also, wir haben die Möglichkeit, auf der einen Seite elektrische Energie zu generieren und auf der anderen Seite diese wiederum zu nutzen – sogenannte Power-to-X–Verfahren.

Technikum für Syntheseverfahren und Power-to-X-Prozesse am Fraunhofer IKTS.
© Fraunhofer IKTS
Technikum für Syntheseverfahren und Power-to-X-Prozesse am Fraunhofer IKTS.

Bei der Entwicklung der Verfahrenskonzepte zur CO2-Nutzung gilt mein Dank meinen 20 Mitarbeitenden, die natürlich die Grundvoraussetzung dafür sind, dass wir überhaupt an den Themen so gut vorankommen und so eine Anlage zur Herstellung hochwertiger Produkte aus CO2 und Wasser auf die Beine stellen konnten. Das ist nur möglich, weil bei uns sowohl wissenschaftliches und technisches Personal als auch Studierende und Promovierende eng kooperieren.

Apropos Studierende: Du bist ja an der TU Dresden, Institut für Verfahrenstechnik und Umwelttechnik, selbst Lehrbeauftragter: Wie lautet – an der Uni und generell als Wissenschaftler – Dein Auftrag?

Es ist wichtig, wenn wir in Richtung der zukünftigen Energiesysteme denken, dass wir gut ausgebildete Fachkräfte haben. Sie sollen Dinge kritisch in Frage stellen, ihre eigene Meinung bilden und dies dann möglichst auch in ihrem Berufsleben einsetzen, um in der Technologieentwicklung hinsichtlich des Klimaschutzes voranzukommen. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir hier am IKTS die Möglichkeit haben, diese jungen Menschen aktiv einzubinden. Wir brauchen die wissenschaftliche Ausbildung, wir brauchen aber auch eine Rolle, der immer größere Bedeutung zukommt – die allgemeine Öffentlichkeit und deren Wahrnehmung. Deshalb hat die Wissenschaft neben der reinen Facharbeit die Verantwortung zu informieren und zu schauen, wie sie möglichst viele Menschen erreichen kann. Man darf sich nicht nur in seinen Elfenbeinturm zurückziehen, sondern muss sich auch an die Öffentlichkeit wenden. In der Demokratie ist es wichtig, dass sich möglichst viele einbringen und dass, wie gesagt, auch Akteure aus der Forschung aktiv politisch beteiligt sind, um ihr Wissen über Technologien, über systemische Zusammenhänge einzubringen.

 


»Man darf sich nicht nur in seinen Elfenbeinturm zurückziehen, sondern muss sich auch an die Öffentlichkeit wenden.«


 

Eine Intention ist auch, dass wir dahin kommen sollten, dass ein gesellschaftliches Engagement stärker honoriert und anerkannt wird, dass weniger auf Einzelinteressen geschaut wird, sondern der Beitrag zum Gemeinwohl mehr gewürdigt wird. Denn beim Strukturwandel, den wir vor uns haben, geht es ja um einen gesellschaftlichen Prozess, der nicht auf einzelne Technologien und Regionen bezogen ist. Ein ganzheitlicher Ansatz ist nötig, um auch die Zukunftsfragen zu bewältigen, die gerade für die nächsten Generationen eine wichtige Rolle spielen. Heute suchen die Menschen einfache Antworten, die es bei aller Komplexität aber leider nicht immer gibt. Daher müssen wir für mehr Verständnis sorgen. Ansonsten gewinnen im Bereich der öffentlichen Meinung Populisten die Oberhand – weil sie einfache Antworten bieten, die aber nicht die Lösung des Problems sind.

 

Welche Antwort gibst Du auf die Frage nach den Chancen des Strukturwandels und welchen Handlungsbedarf siehst Du über einen offenen Dialog hinaus?

Im Kontext Klimawandel, dazu gehört auch die Wasserstofftechnologie, ist es wichtig, dass alles, was wir dort tun, einen Beitrag leistet, um letztlich auch Lebensqualität zu erhalten oder zu verbessern. Gesellschaftliche Akzeptanz erfährt man nur über Information und Teilhabe. Darüber hinaus sind natürlich regulatorische Rahmenbedingungen seitens der Politik notwendig, damit sich Technologien zur CO2-Vermeidung und -Nutzung auch auf dem Markt durchsetzen können. Denn natürlich muss sich das Ganze am Ende auch für Investoren rechnen. Gemeinsam mit weiteren Fraunhofer-Instituten legten wir der Bundesregierung dazu im März eine Wasserstoff-Roadmap mit wissenschaftlichen Positionen vor, die von der Politik aufgegriffen worden und nun auch in der am 10.06.2020 verabschiedete NWS berücksichtigt worden sind. Außerdem ist es sowohl hier in Sachsen als auch insgesamt wichtig, dass wir das Know-how und die Technologien, die wir hier haben, ausbauen, nutzen und damit Export-Chancen generieren – auch für den Erhalt und für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Wenn wir also langfristig, zum Beispiel in der Lausitz oder in anderen Braunkohlerevieren, zukunftsfähige Arbeitsplätze haben wollen, dann müssen wir immer industrielle Entwicklung und Klimaschutz gemeinsam denken. Denn in dieser Kombination liegt letztlich die Zukunft.

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Dr. Matthias Jahn ist Abteilungsleiter für Chemische Verfahrenstechnik am Fraunhofer IKTS. Er spricht mit uns über grünen Wasserstoff und Strukturwandel.