Digitale Dienstleistungen in Analytik und zerstörungsfreier Prüfung

Forschung aktuell

© Fraunhofer IKTS
Vorgehensmodell Zustandsüberwachung an Verdichtern mittels KI-Methoden.
© Fraunhofer IKTS
Verknüpfung der Material und Metadaten aus der Analyse mit der Modellierung und Simulation zur Etablierung eines digitalen Zwillings.
© Fraunhofer IKTS
Oben: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines 20 μm großen Partikels einer Nickel-Kobalt-Mangan-Legierung. Unten: fotorealistisch, synthetisch im Computermodell erzeugter Partikel als Teil eines Trainingsdatensatzes für Algorithmen des maschinellen Lernens.

Bedarf

Die digitale Transformation wird die wissenschaftliche Arbeit am Fraunhofer IKTS sehr stark wandeln. Dies beinhaltet neben der vollständigen Integration modernster Methoden des maschinellen Lernens und der Mustererkennung in bestehende Verfahren und Abläufe der Analytik auch die Entwicklung und Kommerzialisierung digitaler Tools und Geschäftsmodelle an sich. Forschungsdaten am IKTS sind per se höchst heterogen: Material-, Prozess-, Prüf- und Umweltdaten müssen nach dem FAIR-Prinzip erhoben und verarbeitet werden (findable, accessible, interoperable, reusable). Nur so – strukturiert und systematisch – erhobene Daten können in konsekutiven Schritten ausgewertet, verknüpft oder auch als Basis für die Erzeugung synthetischer Daten und Modelle genutzt werden. Auf diese Weise ist ein neuer Grad der Wertschöpfung zu erreichen. Forschende indes können Datenanalyse- und KI Projekte nicht einfach outsourcen, da zwischen Fachexperten und Datenwissenschaftlern zunächst einmal eine gemeinsame Sprach- und Verständnisbasis geschaffen werden muss.

Umsetzung

Um diese neuen Anforderungen konsequent umzusetzen, bedarf es neuer, interdisziplinär aufgestellter Teams mit Know-how aus Materialwissenschaft, Naturwissenschaft, Ingenieurwesen, Informatik und Datenwissenschaft, die das IKTS aktuell standortübergreifend entwickelt, beispielsweise in Cottbus (Forschungsgruppe Kognitive Materialdiagnostik KogMat), Forchheim und Arnstadt (Batterie-Innovations und Technologie-Center BITC). Ein Vorteil digitaler Methoden und Werkzeuge ist, dass die standortübergreifende, ressourcensparende Zusammenarbeit erleichtert und die agile Arbeitsweise in den Teams unterstützt wird. Rechenleistung und Speicherplatz beispielsweise kann an beliebigen Institutsstandorten bereitgestellt werden, wenn durch entsprechende Virtualisierungs- und Cloudstrategien alle Geschäftsfelder des IKTS von allen Standorten aus ein Zusammenspiel von Analytik und Modellierung, Simulation, Automation sowie qualitativer und statistischer Datenauswertung nutzen können.

Wichtig ist aber auch: Materialforschende und Datenexperten am IKTS müssen sich gemeinsam ein neues Verständnis von digitaler Wertschöpfung erarbeiten. Sie müssen die Begriffe, Herausforderungen und Methoden der jeweiligen werkstoff- und ingenieurwissenschaftlichen, aber auch der datenwissenschaftlichen Subdisziplinen kennen und verstehen lernen. Darüber hinaus bringen digitale Methoden auch völlig neue Arbeitsweisen in die Forschungsgruppen am IKTS ein. Dazu gehören Ansätze wie Design Thinking, schnelles Prototyping und agile Teamarbeit.

Bereits heute sind im Forschungsalltag am Fraunhofer IKTS erste KI-Elemente integriert. Große Datensätze aus der akustischen Zustandsüberwachung werden mit speziell trainierten Modellen bearbeitet, Bildanalysealgorithmen werden für die Verbesserung und Auswertung von Röntgen- oder Mikroskopiedaten benutzt. Sensordaten aus Kamerabildern und Ultraschall werden miteinander fusioniert. Automatisierte Literaturanalysen oder Auswertungen vergangener Projekte, Verknüpfungen von Daten aus Simulationen und Experimenten führen zu Effizienzsteigerung und besserer Qualität. Die Anlagen des IKTS zur additiven Fertigung nutzen bereits heute hochspezialisierte digitale Algorithmen zur Optimierung der CAD-Files vor deren Verarbeitung.

Der Standort Forchheim wird sich dabei zur Speerspitze der Kontext-Mikroskopie und Spektroskopie entwickeln und in diesem Sinne für das gesamte IKTS und seine Kunden teils einmalige analytische Messmodalitäten weiterentwickeln und für diese multimodale Workflows von der Datenerhebung über statistische Auswertungen bis zur Visualisierung aufsetzen.

Digitale Geschäftsmodelle im Beispiel

Der Kern der digitalen Angebote des IKTS in der korrelativen Mikroskopie bilden so genannte Workflows, die individuelle Datenbestände mit zugehörigen Bearbeitungsschritten verknüpfen. Diese Workflows laufen zentral auf einer High- Performance-Computing-Infrastruktur (HPC). Der Cluster verknüpft auf der einen Seite die Vielzahl heterogener, multimodaler und skalenübergreifender Daten der einzelnen mikroskopischen Verfahren. Auf der anderen Seite erhalten Mitarbeitende des IKTS aller Standorte, aber eben auch externe Kunden und Projektpartner den Zugriff auf diese Workflow-Engine. Eine auch für Laien verständliche Nutzeroberfläche erlaubt es, Daten strukturiert abzulegen, an der quantitativen Datenauswertung oder Visualisierung zu arbeiten, oder multimodal erhobene Daten zu Modellen, Simulationen oder »digitalen Zwillingen« zusammenzuführen.

Die Workflow-Engine stellt dabei das Datenmanagement nach FAIR-Prinzipen sicher, ermöglicht die Ablage von Meta- und Prozessdaten oder von Proben-IDs. Auch erlaubt das System, externe Werkzeuge der Datenverarbeitung einzubinden und zu beschicken, wie etwa Software zur Datenkompression, zur Segmentierung von Bilddaten oder Finite-Element-Solver.

Als Beispiel wurden für die Weiterentwicklung von Batteriematerialien aus Mikroskopiedaten zahlreiche synthetische Datensätze auf Basis fotorealistischer, dreidimensionaler Renderings erzeugt, damit diese ihrerseits als bekannte Trainingsdaten für Algorithmen des Maschinellen Lernens (ML) genutzt werden können. Das Bild rechts oben zeigt eine elektronenmikroskopische Aufnahme eines Partikels (20 μm im Durchmesser) aus einer Nickel-Kobalt-Mangan-Legierung, wie sie in Kathodenfolien eingesetzt werden.

Eine andere Domäne, in der das IKTS mit digitalen Angeboten künftig Nutzen stiften will, sind Daten, die bei industriellen Kunden bereits anfallen oder vorliegen. Diese oftmals sehr unterschiedlichen Material-, Prozess-, Prüf- und Umweltdaten fallen entlang der gesamten Wertschöpfungskette an. Sie zu erfassen, miteinander zu verknüpfen und auszuwerten ist eine Herausforderung, der sich das IKTS nicht nur mit technischen Mitteln stellt. Durch die direkte Mitwirkung eines Kundenvertreters als Product Owner im agilen Prozess können IKTS-Kunden den unmittelbaren Nutzen noch während der Projektlaufzeit optimieren. Das funktioniert in verschiedenen Projektformaten, sowohl virtuell als auch in Präsenz. Für das Fraunhofer IKTS bedeutet dies einen großen Schritt in Richtung Aufbau und Einführung agiler Prozesse und die Beherrschung schneller und kontinuierlicher Feature-Auslieferung.

Die Integration insbesondere der Industriekunden in die Projektarbeit des IKTS wird künftig enger sein. Das Institut wird sich zunehmend in die großen nationalen und internationalen datenwissenschaftlichen Plattformen wie »Material Digital« integrieren und auch in steigendem Umfang branchenübliche Open-Source-Ansätze in der Software-Entwicklung nutzen.

Auch in diesem Bereich kann das IKTS auf erste erfolgreiche Projekte mit digitalen Zustandsdaten verweisen: Im BMBF-geförderten Projekt CompWatch wurde ein Verfahren für ereignisorientierte Wartungsintervalle bei Kompressoren entwickelt. Das selbstlernende System »lernt« beim Kunden, wie ein intakter Kompressor klingt. Anomalien dieses Betriebsgeräusches kündigen einen möglichen Schaden an. Erst in diesem Fall löst das System einen präventiven Wartungseinsatz aus. Es muss dazu nicht alle möglichen Geräusche im Schadensfall vorab kennen, sondern es lernt und optimiert sich selbst. Anhand ohnehin anfallender Betriebsgeräusche und mit der vom IKTS entwickelten ML-Algorithmen plus einfacher Mikrofonausstattung können somit Betriebskosten und Ausfallzeiten gesenkt werden. Wartungsfirmen können zudem, basierend auf der Schwarmintelligenz aller Kompressoren, künftig schneller und effizienter Schadensdiagnosen erstellen.