Autorin: Annegret Kolarow

Girls‘ Day virtuell am Fraunhofer IKTS – im Gespräch mit einer Wissenschaftlerin

Heute zum »Girls‘ Day« sollten tausende Mädchen bundesweit Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Hochschulen besuchen, um Berufe und Studienrichtungen auszuprobieren, die traditionell einen nur geringen weiblichen Anteil haben – nämlich in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT). Auch das Fraunhofer IKTS hatte ein Programm geplant und sich schon auf den Besuch der Schülerinnen gefreut. Doch wie aktuell so viele Veranstaltungen wurde auch der Mädchenzukunftstag abgesagt, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Weil Ihr uns nun nicht persönlich am Institut besuchen könnt, möchten wir Euch zumindest virtuell eine unserer Wissenschaftlerinnen vorstellen. Denn am Fraunhofer IKTS wissen wir schon lange: Frauen in der Foschung – das passt!

Kerstin Simon, M.Sc. im Gespräch

Kerstin, die Welt steht Kopf wegen des Coronavirus. Wie und an was arbeitest Du gerade?

Ich bin im sogenannten »Home Office«. Das bedeutet, dass mein Büro für diese Zeit zu Hause ist. Ich arbeite unter anderem gerade an einer neuen Projektidee. Dazu gehören Literatur- und Patentrecherche, Schemas und Abbildungen erstellen und mit Industrie- und Forschungspartnern telefonieren. Das geht auch sehr gut von zu Hause aus.

 

Was machst Du am Fraunhofer IKTS?

Ich bin wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Arbeitsgruppe »Oxid- und polymerkeramische Komponenten«. Hier beschäftige ich mich mit hochreinen Oxidkeramiken, die zum Beispiel bei Implantaten oder in der Optik zum Einsatz kommen. In den letzten zwei Jahren war ich an der Konstruktion einer Anlage zur Pulversynthese beteiligt, mit der wir Pulver mit noch nie dagewesener Reinheit herstellen möchten. Diese wird zurzeit montiert und installiert. In der zweiten Jahreshälfte sollen dann die ersten Versuche darauf laufen, das wird sehr spannend.

Seit 2015 arbeitet Kerstin Simon als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer IKTS.
© Fraunhofer IKTS
Seit 2015 arbeitet Kerstin Simon als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer IKTS.

Dein Werdegang war ja nicht ganz geradlinig. Wie bist Du denn zur Keramik gekommen?

Geradlinig wäre ja auch langweilig! Nach meinem Realschulabschluss habe ich erfolgreich eine dreieinhalbjährige Lehre zur Zahntechnikerin absolviert, drei Jahre in diesem Beruf gearbeitet und dabei viele unterschiedliche Materialien zur Herstellung von Prothesen verarbeitet – mein erster Kontakt mit Keramik. Mit 23 Jahren fragte ich mich, ob dieser Job mich die nächsten 50 Jahre erfüllen wird. Obwohl ich meinen Job wirklich liebte, konnte ich mir dies nicht vorstellen. Also recherchierte ich nach Studiengängen und stieß dabei auf »Dentaltechnologie« an der Hochschule Osnabrück – ein Ingenieurstudiengang, der Kenntnisse über dentale Werkstoffe vermittelt. Also habe ich innerhalb von einem Jahr meine Fachhochschulreife erlangt und bin nach Osnabrück gezogen. Meine Bachelorarbeit habe ich am Fraunhofer ISC in Würzburg in der Arbeitsgruppe »Dental- und Mikromedizin« absolviert und gemerkt, dass ich meine berufliche Zukunft in der Forschung sehe. Daher habe ich mich für den Masterstudiengang »Werkstoffwissenschaften« an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena entschieden. In der Masterarbeit beschäftigte ich mich dann intensiv mit der Herstellung von Keramiken. Da ich in der Studienzeit in Hermsdorf wohnte, stellte ich dann auch schnell fest, dass sich hier ein Fraunhofer-Institut befindet, welches sich mit Keramik beschäftigt. Zufall? Ich denke eher nicht!

 

Welche Vorteile hat es, wenn man vor dem Studium in einem anderen Bereich tätig war?

Man lernt viele neue Orte und viele tolle Menschen kennen, was automatisch dazu führt, dass man selbst offener gegenüber neuen oder anderen Ansichten wird. Außerdem stellt man sich neuen Herausforderungen, die sicherlich mal einfach, aber auch mal schwerer zu meistern sind – alles eine Frage der persönlichen Einstellung. Nehme ich die Herausforderung an, dann werde ich sie auch meistern. Ein Beispiel: In Osnabrück waren 98 % der Prüfungen schriftlich, in Jena dagegen fast alle Prüfungen mündlich. Ich musste schnell lernen, Aufregung und Nervosität während der Prüfung zu kontrollieren, um Freiraum für klare Gedanken zu schaffen. Ich gebe zu, manchmal hätte es wirklich besser laufen können, aber ich wurde immer sicherer.

 

Warum hast Du Dich für Werkstoffwissenschaften als Studienrichtung entschieden?

Ich wollte mich gern »breit« aufstellen und für mehrere Industriezweige qualifizieren. Im Masterstudium »Werkstoffwissenschaften«  in Jena wurden Metalle, Polymere und Keramiken mit dem Fokus auf vielfältige technische Anwendungen beleuchtet.

 

Wie hoch war der Frauenanteil in Deinem Fachgebiet? Woran denkst Du liegt das?

Das ist schwierig einzuschätzen. Ich kann rückblickend nur erzählen, dass wir ca. 21 Studierende im Masterstudium zu Beginn waren, davon drei Frauen. Geht man davon aus, dass es in den vorhergehenden und nachfolgenden Jahrgängen ein ähnliches Verhältnis war, dann ist der Frauenanteil definitiv zu gering. Es ist ja generell bekannt, dass in den ersten drei Semestern etwas härtere Prüfungen stattfinden – in Ingenieurstudiengängen u. a. Mathematik, Physik, Chemie, Statik und Festigkeitslehre. Diese haben vielleicht wenig Bezug zu den eigenen Interessen, bilden aber die notwendigen Grundlagen für aufbauende Themengebiete und somit auch für den angestrebten Abschluss. Da hilft nur Lernen und Durchhalten bis zum vierten Semester!

 

Was muss man als Wissenschaftlerin allgemein für Eigenschaften mitbringen?

Seit vielen Jahren engagiert sich Kerstin beim Girls‘ Day und gibt Schülerinnen praktische Einblicke in ihren Forschungsbereich.
© Fraunhofer IKTS
Seit vielen Jahren engagiert sich Kerstin beim Girls‘ Day und gibt Schülerinnen praktische Einblicke in ihren Forschungsbereich.

An oberster Stelle würde ich sagen: Neugier und Durchhaltevermögen! Die Neugier wird helfen, neuen und innovativen Gedankengängen Raum zur Entfaltung von Ideen zu geben. Das Durchhaltevermögen wird dann dafür sorgen, diese Ideen zu verfolgen und in die Tat umzusetzen, auch wenn nicht alle Ideen von Erfolg gekrönt sein werden.

 

Was würdest Du Schülerinnen raten, die zwar an MINT interessiert sind, sich aber irgendwie nicht trauen, das weiter zu verfolgen?

Natürlich sind die eigenen Interessen für die Berufswahl wegweisend. Doch nicht jeder Weg ist geradlinig. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mein Studium auf dem zweiten Bildungsweg bei meinem Arbeitgeber nicht negativ, sondern eher positiv ankam. Ich würde allen empfehlen, sich selbst zu fragen: Welcher Beruf wird mich erfüllen?

Vielen Dank für das Gespräch Kerstin!

 


Infos für Schülerinnen rund um Studien- und Berufsbilder im MINT-Bereich:

Girls‘ Day Mädchen-Zukunftstag
Nachwuchsprogramme der FhG
Online MINT-Mentoring
Ressourcen für MINT-Orientierung mit Fokus Thüringen
Experimente für Zuhause

 

Downloads:

Ausbildung zur Chemielaborantin
Ausbildung zur Industriekeramikerin
Ausbildung zur Physiklaborantin
Ausbildung zur Stoffprüferin

 

Lernt weitere Mitarbeiterinnen des Fraunhofer IKTS kennen:

Dr. Kathrin Reinhardt über Motivation, Mut und neue alte Möbel
Dr. Bianca Weihnacht über Windenergie auf See und Profi-Gamer
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