Autor: Anika Peucker

Glaskeramik: Wenn Wissenschaftler am Ceranfeld den Kochlöffel schwingen

Temperaturbeständig. Hart. Transparent. Oder wie ein Ceranfeld schwarz durchscheinend, wenn Sie die glühenden Heizspiralen sehen. Wussten Sie, dass Ihr Ceran-Kochfeld aus Glaskeramik besteht? Seit 1972 können wir dank den Ingenieuren von Schott auf diesen Gläsern kochen. In den Siebzigern nur wenige von uns, denn ein Ceranfeld-Herd war teuer. Doch als mit den Jahren der Preis sank, kam auch das Ceranfeld immer mehr in Mode. Heute ist es aus den meisten Küchen nicht mehr weg zu denken, häufig bereits ausgestattet mit intelligenter Steuerungselektronik, die überdies geschützt werden muss. Glaskeramik weist dabei auch isolierende Eigenschaften auf.

 

Entdeckung von Glaskeramik – eher ein »Unfall«

Eigentlich sollte es Glaskeramik gar nicht geben. Der Chemiker Stanley D. Stookey entdeckte sie in den Fünzigerjahren eher zufällig. Quasi ein »Unfall«, nämlich als er Glas zu sehr erhitzte, während er Gläser, die sich mit Licht formen lassen, erforschte. So hat er nebenbei einen hochinteressanten neuen Werkstoff kreiert. Solche Fehler mag und braucht die Wissenschaft. Bisweilen sind sie nicht mal selten. Doch wie wird nun aus Glas Glaskeramik?

Stookey merkte, dass zu stark erhitztes Glas kristallisiert. Dabei bilden sich große, isolierte Einschlüsse im Glasgefüge. Das Glas besteht dann aus zwei Phasen, die sich unterschiedlich ausdehnen. Dadurch steht es unter Spannung, wird instabil und bricht schnell. Fügt man dem Glas nun aber kleine Kristalle hinzu, die sich miteinander verbinden, entsteht ein Werkstoff mit besonderen Eigenschaften. Er nimmt sich das Beste sowohl vom Glas als auch von der Keramik. Systemiker würden sagen: Der neue Werkstoff enthält mehr als die Summe seiner Teile.

Glaskeramik zeichnet sich durch ihre Härte, je nach Materialzusammensetzung durch ihre Steifigkeit und Hitzebeständigkeit aus. Sie kann in einem großen Temperaturbereich bestehen. Was die Glaskeramik auch muss, bedenkt man die schnellen Erwärmungs- und Abkühlungszyklen, denen sie ausgesetzt ist. Transparent sollte sie häufig noch dazu sein. Dies geschieht über winzige Kristallite (kleiner 40 nm) und einen geringen Brechungsindexunterschied zwischen Restglas und Keramik. Temperaturschocks sollte Glaskeramik ebenfalls aushalten. Zum Beispiel, wenn der Koch den Kochtopf fallen lässt. Apropos Kochtopf: Die ersten Glaskeramik-Kochtöpfe gab es bereits 1958.

 

Variabilität von Glas

Jedoch nicht nur im Haushalt spielt Glaskeramik eine Rolle. Verschiedene Branchen entdeckten und entdecken keramische Gläser für ihre Anwendungen. Der Gebrauch allein definiert die Materialzusammensetzung, das heißt die Glasrezepturen und damit verbunden die Verarbeitungstechniken. Die spezifischen Eigenschaften werden durch gesteuerte Kristallisation erreicht: Durch die Kristallgrößen, die Art und Form der Kristalle, deren Vernetzung sowie die Isolation der Kristalle voneinander. Ofen- und Kaminscheiben, Reflektoren in Beamern, große Teleskopspiegel, Vakuumbauteile oder das Trägermaterial für Festplatten von Großrechnern sind beispielsweise aus keramischen Gläsern.

LTCC-Drucksensor wird mit einer Glasschicht in Stahladapter gefügt.
© Fraunhofer ITKS
LTCC-Drucksensor wird mit einer Glasschicht in Stahladapter gefügt.
Natriumionen leitfähige glaskeramische Substrate.
© Fraunhofer ITKS
Natriumionen leitfähige glaskeramische Substrate.
Glaskeramische Lote zwischen Metall und Keramik in einer Hochtemperaturbrennstoffzelle.
© Fraunhofer ITKS
Glaskeramische Lote zwischen Metall und Keramik in einer Hochtemperaturbrennstoffzelle.

Gläser für den Energiesektor

Unsere Wissenschaftler entwickeln neuen Glasrezepturen und Verarbeitungstechniken, um keramische Gläser für weitere Anwendungen in Sensorik, Elektro- und Energietechnik zu erschließen. In Lithium-Ionen-Batterien etwa werden glaskeramische Füllstoffe für der Trennung von Anode und Kathode verwendet. Sie verstärken die Leitfähigkeit des mit Elektrolyt gefüllten Separators. Damit helfen Glaskeramiken die Leistungsdichte von Batterien zu erhöhen. Darüber hinaus haben sie einen stabilisierenden Effekt.

Oder nehmen wir Brennstoffzellen. Diese Energiespeicher agieren unter aggressiver Atmosphäre. Sie müssen hohen Temperaturen und korrosiven Bedingungen widerstehen. Glaskermische Lote wirken in Brennstoffzellen wie Kleber. Sie verbinden Metalle mit Keramik, fügen und dichten ab. Bei Reaktoren der chemischen Industrie geschieht dies ähnlich.

Auch Niedertemperaturbatterien statten die Wissenschaftler mit Glaskeramik aus. Genauer gesagt, die Festelektrolyte – dichte, dünne, ionenleitfähige Membrane – bestehen aus Glaskeramik. Dabei werden die Gläser über eine Pulverroute bei niedrigeren Temperaturen unterhalb von 1000°C verarbeitet. Glaspulver werden quasi als Bindemittel genutzt, um die Herstellungstemperatur von Keramikbauteilen abzusenken. Hierdurch können Energie gespart und Herstellungskosten gesenkt werden.

In der Dickschichttechnologie dienen Gläser als abriebfeste Schutzschicht von Funktionsbauteilen oder als elektrisch isolierende Abdeckschicht von Leiterbahnen. Die Gläser schützen die keramischen Bauteile vor Korrosion und wirken elektrisch isolierend auf Sensoren. Glaspulver als anteilige Zusätze in Metallisierungspasten z. B. auf Basis von Silberpulvern wirken als Haftvermittler auf den bedruckten Substraten. Sie verbessern die Haftung der Metallisierungen auf den jeweiligen Unterlagen. Solarzellen sind dabei eines von vielen Beispielen, bei deren Herstellung Glaspulver als Zusatz in Metallisierungspasten verwendet wird.

Am Beispiel von Zuckersirup wird die Verarbeitung von Glas demonstriert. Erster Schritt: Erwärmen des Sirups.
© Fraunhofer ITKS
Am Beispiel von Zuckersirup wird die Verarbeitung von Glas demonstriert. Erster Schritt: Erwärmen des Sirups.
Zweiter Schritt: Ausgießen des Zuckersirups.
© Fraunhofer ITKS
Zweiter Schritt: Ausgießen des Zuckersirups.
Dritter Schritt: Aushärten des essbaren Glases.
© Fraunhofer ITKS
Dritter Schritt: Aushärten des essbaren Glases.