Autorin: Annegret Kolarow

World Water Day 2021

Über den Wert des Wassers, Power-Bläschen gegen Mikroschadstoffe und die Kläranlagen der Zukunft – im Gespräch mit Dr. Patrick Bräutigam

Icon zum Weltwassertag 2021.

Auch wenn die Erde der »blaue Planet« genannt wird: nur etwa 2,5% des Wassers ist Süßwasser. Und auch davon ist nur etwa ein Drittel als Trinkwasser nutzbar. Die Ressource ist knapp und ungleich verteilt: Mehr als 2 Milliarden Menschen leben weltweit zu Hause ohne Zugang zu sauberem Wasser. Um auf diese Wasserkrise aufmerksam zu machen, richten die Vereinten Nationen jährlich am 22. März den Weltwassertag aus, begleitet von Kampagnen und Aktionen staatlicher und nichtstaatlicher Akteure.

Wir haben mit Dr. Patrick Bräutigam, Leiter der Gruppe »Reaktionstechnik Wasser« am IKTS sowie Leiter der Gruppe »Wassertechnologie«  an der Friedrich-Schiller-Universität, darüber gesprochen, wie Forschungseinrichtungen sich in der Wasserkrise einbringen können, warum man die Ressource auch in Industrieländern schützen muss und welche Technologien dafür zukünftig relevant werden.

 

Dr. Bräutigam, das Motto des diesjährigen World Water Day ist »Valuing Water«, also »Wasser schätzen«. Was bedeutet Ihnen persönlich Wasser?

Wasser ist essenziell und das nicht nur für mich, sondern für alle Menschen, alle Lebewesen auf der Erde. Es ist Lebensmittel und auch Lebensraum. Gleichzeitig ist es aber auch ein Industrierohstoff, der in großen Mengen eingesetzt wird. Dies führt zu einer zunehmenden Verknappung und Verschmutzung. Wasser ist somit ein sehr wertvoller Rohstoff, den es zu schützen gilt.

 


»Forschungseinrichtungen können einen großen Beitrag leisten – zum Beispiel mit verschiedenen Technologien, die verschmutztes Wasser von Schadstoffen reinigen, auch von solchen, die man bis vor Kurzem noch gar nicht kannte.«


 

Über 2 Milliarden Menschen leben ohne Zugang zu sauberem Wasser. Die Vereinten Nationen haben daher als eines ihrer nachhaltigen Entwicklungsziele ausgerufen, bis 2030 sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung für alle zu erreichen. Welchen Beitrag können Forschungseinrichtungen wie die Fraunhofer-Gesellschaft hier leisten und welche politischen Rahmenbedingungen benötigen sie dafür?

Im Jahr 2015 verabschieden die Vereinten Nationen die Agenda 2030 und setzen sich 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung. Eines davon: sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen für alle Menschen
© Vereinte Nationen
Im Jahr 2015 verabschieden die Vereinten Nationen die Agenda 2030 und setzen sich 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung. Eines davon: sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen für alle Menschen

Die Fraunhofer-Gesellschaft und Forschungseinrichtungen insgesamt, können einen großen Beitrag leisten – zum Beispiel mit verschiedenen Technologien, die verschmutztes Wasser von Schadstoffen reinigen, auch von solchen, die man bis vor Kurzem noch gar nicht kannte. Wir können Analysemethoden entwickeln und mit Sensoren messen, wann und wo welche Schadstoffe auftreten. Diese Daten fließen in Konzepte für neue Verfahren ein, die vor allem energieeffizient arbeiten sollen. Denn man darf nie vergessen, dass die Kosten für deren Einsatz von der Allgemeinheit getragen werden. Zum anderen können Technologien einen Beitrag zur industriellen Nutzung von Wasser leisten, so dass man in Industrieprozessen sparsam mit der Ressource umgeht oder das Wasser nahezu vollständig im Kreislauf führt und somit keine neuen Frischwasserressourcen benötigt. Für die Reinigung dieser Prozesswässer gibt es verschiedene technische Lösungsansätze, die es zu entwickeln und im großen Maßstab umzusetzen gilt. Hier kann die Forschung viel beitragen. Was die politischen Rahmenbedingungen betrifft, so benötigt Forschung, die ja per se erst einmal ergebnisoffen ist, finanzielle Unterstützung. Aber auch auf gesetzgeberischer Ebene müssen Regelungen getroffen werden. Ein Beispiel: es gibt eine Vielzahl von Mikroschadstoffen. Bis heute ist jedoch nicht klar, ob und in welchem Umfang Leitsubstanzen definiert werden. Eine deutliche Positionierung, auch wenn das schwierig ist, wäre bei der Prozessentwicklung hilfreich.

 

Auch in industriell entwickelten Ländern ist das Trinkwasser belastet. Sie haben Mikroschadstoffe erwähnt. Können Sie erklären, warum diese Substanzen bisher nur unzureichend durch aktuelle Wasserbehandlungsverfahren entfernt werden?

Bis vor wenigen Jahren waren diese Stoffe noch nicht im Bewusstsein. Das liegt auch daran, dass man bis dahin die geringen Konzentrationen dieser Substanzen noch nicht messen konnte. Zudem sind Kläranlagen aktuell nicht darauf ausgelegt, diese Stoffe abzutrennen. Ihr Ziel ist die Entfernung von Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor. Sie greifen dafür auf Technologien aus den 50er Jahren zurück, die entwickelt wurden, als man zum Beispiel die durch Phosphor verursachte Veralgung von Gewässern erkannte. Somit gibt es hier immer wieder Entwicklungsschritte. Nun wird die sogenannte vierte Reinigungsstufe diskutiert, in der Mikroschadstoffe entfernt werden sollen. Das sind Stoffe, die nur in sehr geringer Konzentration vorkommen aber durchaus eine Wirksamkeit auch in diesen Konzentrationen ausweisen können. Veranschaulicht kann man sich das so vorstellen, als ob ein Stück Würfelzucker in einem Schwimmbad aufgelöst wird. Bei den Stoffen handelt es sich zum Beispiel um Arzneimittel, Pestizide, Industriechemikalien oder Farbstoffe, die auch in ihrer geringen Konzentration eine Auswirkung auf das Ökosystem haben – etwa Hormone, die zu einer Verweiblichung der Fischpopulation und somit zu Unfruchtbarkeit führen. Um diese Stoffe zu entfernen, braucht es neue Verfahren, die klassische Kläranlagen nicht haben.

 

Konventionelle Kläranlagen: Sie entfernen Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor. Für die Entfernung von Mikroschadstoffen werden neue Technologien benötigt.
© Ivan Bandura | Unsplash
Konventionelle Kläranlagen entfernen Kohlenstoff, Stickstoff und Phosphor. Für die Entfernung von Mikroschadstoffen werden neue Technologien benötigt.

In ihrer Forschung beschäftigen Sie sich mit der sogenannten Kavitation. Wie funktioniert dieser Prozess und wie kann er in der Entfernung von Mikroschadstoffen eingesetzt werden?

Dr. Patrick Bräutigam, Gruppenleiter Reaktionstechnik Wasser, arbeitet mit der Universität Jena an einem Reaktor zur Sonophotokatalyse für den Einsatz in der Wasserbehandlung
© Fraunhofer IKTS
Dr. Patrick Bräutigam, Gruppenleiter Reaktionstechnik Wasser, arbeitet mit der Universität Jena an einem Reaktor zur Sonophotokatalyse für den Einsatz in der Wasserbehandlung.

Bei der Kavitation nutzen wir gasgefüllte Blasen im Wasser, die sich zunächst bilden und dann kollabieren. Die Blasenbildung wird durch Unterdruck erzeugt, ähnlich wie beim Öffnen einer Sprudelwasserflasche. Technisch setzen wir hierfür hydraulische Strömungen oder Ultraschall ein, auch um die Blasen zum Kollabieren zu zwingen. In kürzester Zeit reduziert sich dann ihr Volumen um den Faktor 12 000 – quasi von einer Wassermelone zum Kirschkern in wenigen Mikrosekunden. Dabei entstehen sehr hohe Temperaturen und Drucke: bis zu 5000 Kelvin und 1000 Atmosphären. Das sind Bedingungen, wie man sie nur von der Sonne kennt und die in der Lage sind, Wasser zu spalten. So machen wir aus Wasser den eigentlichen Reaktivstoff: das sogenannten OH-Radikal, welches hoch reaktiv ist und somit Mikroschadstoffe abbauen kann.


»Über die Verfahrenskopplung möchten wir alle Schadstoffe restlos entfernen, schneller sein und dabei noch Energie einsparen.«



 

Sie kombinieren Kavitation auch mit anderen Verfahren und integrieren Sensorik und maschinelles Lernen.

Die Kavitation ist grundsätzlich zum Abbau von Mikroschadstoffen geeignet. Weil sie jedoch viel Energie benötigt, kombinieren wir sie mit anderen Verfahren und sehen darin hohe Synergien. Zum Beispiel in Kopplung mit der Ozonung, ein etabliertes Verfahren der Wasseraufbereitung mit Ozon, können wir die Wasserreinigung wesentlich schneller erreichen: von etwa 1 bis 1,5 Stunden mit Ozonung zu nur zehn Minuten in der Kopplung mit Kavitation – und das bei gleichem energetischen Aufwand. Ziel ist aber nicht nur die Schnelligkeit, sondern dass wirklich alle Schadstoffe entfernt werden. Aktuelle Verfahren erlauben nicht die vollständige Elimination aller Verbindungen. Über die Verfahrenskopplung möchten wir alle Schadstoffe entfernen, schneller sein und dabei noch Energie einsparen. Das haben wir in Teilen im Labormaßstab umgesetzt und wollen das auch im größeren Maßstab realisieren. Sensorik setzen wir ein, um zeitgenaue Informationen über den Verschmutzungsgrad eines Wassers einzuholen. Das wird bisher aufwändig mit Wasserproben getestet, was nur zeitversetzt Ergebnisse liefert. Mit dieser Information kann zum Beispiel die Leistung der Kläranlage im Betrieb angepasst werden und der Prozess insgesamt viel energieeffizienter ablaufen. Zuletzt kann man auch Reinigungssysteme als lernende Systeme verstehen, die sich anpassen können. Anhand soziogeographischer Daten, Tages- und Jahreszeit oder Infektionslagen kann man Vorhersagen über die Konzentration von bestimmten Stoffen treffen oder Empfehlungen ableiten, welche Verfahren für welche Substanzen am besten geeignet sind. Darauf aufbauend können wir auch die Industrie beraten, welche Chemikalien ökologischer im Einsatz wären oder sogar völlig neue, besser abbaubare Chemikalien entwickeln.
 

Sie bauen aktuell ihre Gruppe »Reaktionstechnik Wasser« auf. Wie fügt diese sich in das noch junge IKTS-Geschäftsfeld Wasser ein und welche Synergien erhoffen Sie sich?

Meine Gruppe arbeitet verstärkt auf der mechanistischen oder molekularen Ebene. Ziel ist es, völlig neue Materialien, Methoden und Verfahren zunächst im Labormaßstab zu entwickeln, um deren Machbarkeit zu überprüfen. Aktuell arbeiten wir unter anderem an Kavitation, Plasmatechniken und Kombinationsverfahren. Im Geschäftsfeld gibt es viele Anknüpfungspunkte, um diese Arbeiten im Maßstab zu vergrößern und mit anderen Prozessen zu koppeln, wie zum Beispiel biologische oder elektrochemischen Verfahren. Auch die keramischen Membranen könnte man nutzen, um die Konzentration an Spurenstoffen aufzukonzentrieren und damit geringere Volumina kosteneffizienter zu behandeln. Die Gruppe fügt sich damit sehr organisch ein, weil sie das Portfolio um die oxidativen Prozesse erweitert.

 


»Es gibt ein verändertes Bewusstsein auf allen Ebenen, verbunden mit der Bereitschaft etwas zu tun und wir können das mit unseren Technologien unterstützen.«


 

Zum Abschluss, wagen Sie einen Blick in die Zukunft: für die Nachhaltigen Entwicklungsziele der UN ist das Jahr 2030 gesetzt – wo sehen Sie in diesem Jahr Ihre eigene Forschung?

Man soll sich hohe Ziele setzen und das tun wir auch. Im industriellen Umfeld haben unsere Verfahren gute Chancen. Ich bemerke auch, dass Kläranlagenbetreiber sich stärker mit neuen Verfahren beschäftigen. Wir bekommen immer häufiger direkte Anfragen von ihnen. Es ist proaktiver als früher. Auch die Bevölkerung fragt an: »Wie ist denn das mit den Arzneimittelrückständen? Wie gefährlich ist das? Müssen wir das nicht rausholen?« Und das ist wichtig, denn diese Technologien kosten zunächst mehr Geld. Die Bereitschaft der Bevölkerung mehr für sauberes Wasser zu bezahlen, begleitet diese Forschung. Aber ich bin guter Dinge, denn es gibt ein verändertes Bewusstsein auf allen Ebenen, verbunden mit der Bereitschaft etwas zu tun und wir können das mit unseren Technologien unterstützen. Daher hoffe ich, dass wir 2030 einige unserer Technologien, sei es Sensorik oder neue Verfahren zur Mikroschadstoffentferung, in der Anwendung sehen und einen Beitrag zur Weiterentwicklung der Wassertechnologien leisten können.

Vielen Dank für das Gespräch!

 


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