Autoren: Annika Ballin, Nico Domurath, Marc Lincke

Torffreie Abdeckerden für eine nachhaltige Champignonzucht

Mit Biomassetechnologien und Nährstoffrecycling entwickeln IKTS-Forschende zusammen mit Partnern umweltfreundliche und ertragreiche Torfalternativen für die Speisepilzzucht. Im Fokus steht dabei die effiziente Nutzung regionaler nachwachsender Rohstoffe und biogener Reststoffe.

Champignons, Austernseitling, Shiitake und Co. landen immer häufiger auf dem Teller. Und auch für Medizin und Kosmetik gewinnen Pilze weltweit an Bedeutung. Parallel zur großen Nachfrage wächst seit Jahren die einheimische Pilzproduktion und mit ihr der Bedarf an Kultursubstraten und Abdeckerden. Kulturpilze, wie Champignons, wachsen auf Kompost- und Pferdemistsubstraten abgedeckt mit einer Schicht torfhaltiger Erde. Jedes Jahr werden hierfür deutschlandweit ca. 340 000 t Substrate und 55 000 t torfhaltige Abdeckerden benötigt.

 

Pilzzucht muss bis 2030 torffrei werden

Beim Torfabbau werden jedoch wichtige natürliche CO2-Speicher, die Moore, zerstört und mit ihnen der Lebensraum vieler Pflanzen und Tiere. Die Bundesregierung hat in ihrem »Klimaschutzprogramm 2030« daher festgelegt, dass der gewerbliche Gartenbau, zu dem auch der Pilzanbau gehört, bis 2030 torffrei werden muss.

Dies stellt die gesamte Agrarwirtschaft und mit ihr die Pilzzüchter vor große Herausforderungen. Denn ertragreiche Torfalternativen sind bisher kaum verfügbar. Kokosfasern, Grünkompost, Papier oder das Wiederverwenden bereits genutzter torfhaltiger Produkte, wie Abdeckerden, brachten Pilzzüchtern bislang nicht den gewünschten Erfolg. Zudem sind Torfalternativen nicht regional verfügbar oder aus einheimischen Rohstoffen häufig teuer. Wie die optimale Abdeckerde für unterschiedliche Pilzkulturen aussieht, ist bislang noch wenig erforscht. Die Rezepturen am Markt erhältlicher torfhaltiger Erden variieren je nach Hersteller. Zudem fehlen einheimische, artspezifische Deckerden, d. h. für jeden Pilz sein spezifisches Substrat.

In der Pilzzucht genutzte Deckerden landen nach der Ernte meist in Kompostierungsanlagen oder als Dünger auf dem Feld. Bevor sie den Betrieb verlassen, müssen sie thermisch hygenisiert werden. Das ist kosten- und energieintensiv. Zu diesem Zeitpunkt enthalten sie meist noch bis zu 30 % an wertvollen Inhaltsstoffen: eine interessante Nährstoffquelle.

 

Exoten im Keramikinstitut

Die Arbeitsgruppe »Biomassekonversion und Nährstoffrecycling« des Fraunhofer IKTS ist auf den ersten Blick ein Exot im Keramikinstitut. Doch an Biomassetechnologien wird am IKTS seit Jahrzehnten geforscht. Das Team um Gruppenleiter Marc Lincke und Agrarexperte Nico Domurath beschäftigt sich mit komplexen technischen Verfahren, um Biomasse für die energetische oder stoffliche Nutzung bestmöglich aufzuschließen. Dabei geht es immer auch um effiziente und nachhaltige Kreislauftechnologien. Hierbei kommen oftmals, aber nicht immer keramische Bauteile, wie Membranen, zum Einsatz.

 

»MykoDeck« will die torffreie Pilzzucht vorantreiben

Im Projekt MykoDeck arbeitet das IKTS-Team zusammen mit Forschenden des Instituts für Holztechnologie Dresden gGmbH (IHD) und Kompost-Spezialisten der LAV Technische Dienste GmbH & Co. KG seit August 2021 an neuartigen, torffreien Abdeckerden für die Produktion von Kulturpilzen. Hierfür sollen unterschiedliche Rohstoffe evaluiert sowie neue Rezepturen und Herstellverfahren entwickelt und unter realen Bedingungen in Pilzzuchtbetrieben erprobt werden. Das Konsortium konzentriert sich zunächst auf die Bedarfe von Champignons. Die Ergebnisse sollen aber auf weitere Kulturpilzarten sowie in den Gartenbau übertragbar sein.

Mechanisch-thermische Behandlung der Proben am IKTS-Applikationszentrum Bioenergie Pöhl.
© Fraunhofer IKTS
Mechanisch-thermische Behandlung der Proben am IKTS-Applikationszentrum Bioenergie Pöhl.
Stroh vor (links) und nach der Behandlung (rechts).
© Fraunhofer IKTS
Stroh vor (links) und nach der Behandlung (rechts).
Praxisbesuch in einem Pilzzuchtbetrieb.
© Fraunhofer IKTS
Praxisbesuch in einem Pilzzuchtbetrieb.

Wesentlicher Aspekt des Projekts ist die effiziente Erschließung und Nutzung regional anfallender biogener Reststoffe (z. B. Grünschnitt, Laubholzreste, Schäben, abgetragene Pilzsubstrate) sowie nachwachsender Rohstoffe (NawaRos) als Torfersatz. Mit diesem Kreislaufansatz sollen Nährstoffe recycelt, Ressourcen geschont und Treibhausgasemissionen eingespart werden, die bisher beim Torfabbau und -transport entstehen.

 

Was brauchen Champignons? Und was bieten biogene Reststoffe und NawaRos?

Am Anfang des Projekts stand die Definition der wichtigsten Anforderungen für Champignon-Abdeckerden. Vor diesem Hintergrund analysierten und verglichen die Biomasse-Expertinnen und -Experten des Fraunhofer IKTS gemeinsam mit den Partnern die chemischen, biologischen und physikalischen Eigenschaften unterschiedlicher torfhaltiger Abdeckerden sowie einer Reihe importierter (Kokostorf, Reis-/Maisstroh, Pinienrinde) und einheimischer Torfersatzmaterialien (Komposte, Holzspäne, Stroh u. a.). Erfasst wurden hierbei unter anderem Nährstoffgehalte, pH-Wert, Wasserspeicherfähigkeit, Gasaustausch, Partikel- und Porengrößenverteilung und Lagerdichten.

 

Biomasseaufbereitung und erste Wachstumsversuche

Im nächsten Schritt werden nun aus den untersuchten Ausgangsstoffen gezielt Mischungen hergestellt mit definierten Gehalten an mineralischen Bestandteilen und organischen Nährstoffen, um die gewünschten Eigenschaften der Torfersatzstoffe einzustellen. Erste Vorversuche am IHD haben bereits gezeigt, dass die Pilze in den entwickelten torffreien Abdeckerden wachsen. Ab Herbst 2022 plant das Team größere Wachstumsversuche unter realen Bedingungen, um Erträge und Schädlingsdruck der Pilze auf den einzelnen Torfalternativen und Rezepturen zu bewerten.

Parallel erarbeiten die IKTS-Forschenden Technologien, um gleichbleibend hohe Produktqualitäten im Vergleich zu torfhaltigen Abdeckerden absichern zu können. Hierzu zählen einerseits Verfahren und Prozesse zur Biomassekonversion, mit denen die in der Biomasse enthaltenen Nährstoffe besser aufgeschlossen bzw. die physikalischen Eigenschaften der Rohstoffe verbessert werden können. Zum anderen sind dies Technologien zur Hygienisierung der Biomasse. So werden beispielsweise über thermische Prozesse Krankheitserreger abgetötet. Besonders gute Ergebnisse zeigt bisher eine Kombination von Aufschluss bzw. Auffaserung, Homogenisierung und Kompostierung.

Die LAV Technische Dienste GmbH & Co. KG erprobt im Rahmen des Projekts verschiedene Kompostierungsverfahren zur Herstellung von Zuschlagstoffen bzw. von Torfersatzstoffen für Abdeckerden. Das Institut für Holztechnologie Dresden gGmbH wird auf Basis der Projektergebnisse verschiedene Rezepturen für torffreie Abdeckerden unter Verwendung dieser Zuschlag- und Torfersatzstoffe entwickeln. Durch die Anpassung der Abdeckerden an die Ansprüche verschiedener Pilzarten und -stämme sollen die Erträge weiter erhöht werden.

 

Im Praxistest bei Pilzzüchtern

Die neuen Rezepturen und Herstellverfahren für die Torfersatzstoffe sowie Abdeckerden sollen ab 2023 auf den technischen Maßstab hochskaliert und unter realen Bedingungen in mehreren Pilzzuchtbetrieben getestet werden. Aus den ursprünglich zwei Pilzzüchtern sind nun bereits fünf Betriebe geworden, die sich am Forschungsprojekt »MykoDeck« beteiligen wollen. Das Interesse der Branche an torffreien Abdeckerden ist groß. Dies zeigte sich auch bei der Vorstellung des Projekts auf der Jahrestagung des Bundes Deutscher Champignon- und Kulturpilzanbauer (BDC) e. V. am 1. Oktober 2021 in Berlin.

Aus den Erkenntnissen der Praxistests werden konkrete Handlungsempfehlungen für die Herstellung und den Einsatz torffreier Deckerden erarbeitet.

 

Wirtschaftlichkeit und Marktpotenzial

Ergänzt werden die Versuche durch ökologische Analysen und eine Wirtschaftlichkeitsbetrachtung. Diese soll neben der Rohstoffverfügbarkeit und den Herstellkosten auch mögliche Zielgruppen, eine Preis- und Logistikstrategie sowie Qualitätssicherungsmaßnahmen in den Blick nehmen. Ziel des ambitionierten Projekts ist eine ökologisch nachhaltige und wirtschaftliche Pilzproduktion, die auf den umweltkritischen Rohstoff Torf komplett verzichten kann. Gelingt es den Partnern, ertragreiche Torfalternativen für die Pilzzucht zu entwickeln, denken sie bereits an eine Übertragung der Technologien auf den gesamten Pflanzenbau.

Das Projekt (FKZ 2220MT005) ist zunächst bis Juli 2024 angelegt. Es wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) über die Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e. V. (FNR) gefördert.