Autorin: Annegret Kolarow

World Ocean Day 2021

Grün auf See – alternative Schiffsantriebe im Kampf gegen den Klimawandel

Überfischung, ein Plastikstrudel im Nordatlantik über vier Mal so groß wie Deutschland, illegales Einleiten von Abwasser, Tiefseebohrungen, Öl-Havarien, Unterwasserlärm und vieles mehr – die sieben Weltmeere haben mit zahlreichen menschengemachten Herausforderungen zu kämpfen. Die Ozeane sind Lebensgrundlage und Lebensraum zugleich, zudem speichern und transportieren sie Wärme und sind so ein wichtiger Stabilisator des globalen Klimas. Um einen verantwortungsbewussten und nachhaltigen Umgang mit den Weltmeeren in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken, haben die Vereinten Nationen den Welttag der Ozeane ausgerufen. Jährlich am 8. Juni sollen Aktionen staatlicher und nichtstaatlicher Akteure ein Bewusstsein schaffen für die Bedrohung des sensiblen Ökosystems Ozean, für unsere Rolle in dieser Bedrohung und die Auswirkungen auf unseren Planeten.

 

World Ocean Day-Logo: Nachhaltigkeit für unsere Meeresbewohner.
© Word Ocean Day Organisation/Kate Sutter
World Ocean Day: Nachhaltigkeit für unsere Meeresbewohner.

Keramiktechnologien im Einsatz für die Ozeane

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht offensichtlich ist: Das Fraunhofer IKTS hat als Keramikinstitut viele Berührungspunkte mit dem Ozean. Erst vor kurzem hat eine neue Forschungsgruppe der Fraunhofer-Gesellschaft ihre Arbeit aufgenommen: Am »Ocean Technology Campus Rostock« (OTC) arbeitet das IKTS gemeinsam mit drei weiteren Fraunhofer-Instituten zum Beispiel an Technologien zur Analyse und Filterung von Schadstoffen im Meer. Keramische Membranen sind im Einsatz bei der Reinigung von industriellem Prozesswasser und in nachhaltigen Aquakulturen – Umwelttechnologien, die sich nicht nur auf Binnengewässer auswirken. Auch ein Forschungsschiff zum Great Pacific Garbage Patch haben IKTS-Forschende begleitet, um vor Ort Analysetechnologien von Mikroplastik unter Realbedingungen einzusetzen. Während jedoch das Thema »Mikroplastik« inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist, gibt es andere ozeanrelevante Umweltsünder, die bisher weitaus weniger Empörung hervorrufen.

 

Umweltsünder Hochseeschiffe

Mandelmilch aus Kalifornien, Tofu aus Brasilien, T-Shirts aus Bangladesch und Handys aus China: 90 Prozent des Welthandels nutzt den Seeweg. Grundsätzlich gilt die Schifffahrt als ein klimafreundliches Transportmittel, da sie, pro Tonne transportierter Ware, im Vergleich zu Straße, Schiene oder Luft weniger schädliches CO2 emittiert. Doch dieser Vergleich greift zu kurz. Hochseeschiffe fahren mit Schweröl, einem Abfallprodukt der Benzin- und Dieselraffinerien. Es enthält Schwefel, Phosphor, Schwermetalle und weitere hochgiftige Stoffe, die eigentlich als Sondermüll entsorgt werden müssten. Als günstiger Treibstoff landen sie jedoch in den Tanks von Hochseeschiffen. Das ist nicht nur bei Havarien ein großes Problem, denn auch die Abgase der Schiffe sind schädlich für Klima, Umwelt und Gesundheit. Etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung lebt in Küstennähe und muss die Konsequenzen tragen: Einer Studie zufolge versterben etwa 60 000 Menschen jährlich vorzeitig an den Folgen von Schiffsemissionen. Diese sind jedoch weder vom Kyoto-Protokoll noch vom Pariser Klimaabkommen abgedeckt. Grund genug für die Internationale Schifffahrtsorganisation (IMO) einzugreifen: Die Grenzwerte für Schwefelemissionen wurden im Jahr 2020 von bisher 3,5 Prozent auf 0,5 Prozent herabgesetzt. Zum Vergleich: Der Wert im Straßenverkehr ist 500 Mal niedriger. Das ambitionierte, und doch für viele direkt betroffene Inselstaaten viel zu niedrig gegriffene Ziel der IMO ist die Halbierung der weltweiten Schiffsemission im Vergleich zum Wert von 2008. Höchste Zeit also, um über alternative Schifffsantriebe zu sprechen!

 

90 % des Welthandels wird über den Seeweg abgewickelt. Doch Containerschiffe wie dieses sind meist mit toxischem Schweröl betankt.
© Pixabay/Thanasis Papazacharias
90 % des Welthandels wird über den Seeweg abgewickelt. Doch Containerschiffe wie dieses sind meist mit toxischem Schweröl betankt.

Natürlich H2 – Das HyMethShip-Konzept

»Die Antwort ist Wasserstoff! Was war die Frage?« So scheint es zumindest mit Blick auf die aktuellen Diskussionen um klimaneutrale Industrie und Mobilität. Das enorme Potenzial von Wasserstoff als Energieträger ist auch nicht von der Hand zu weisen und auf See, in H2O versteckt sich bekanntlich H2, eigentlich auch naheliegend. Aber reiner Wasserstoff hat ein Transport- und Sicherheitsproblem – er müsste unter hohem Druck in schweren Stahlbehältern an Bord gelagert werden. Im EU-Projekt »HyMethShip« wurde dazu eine Alternative gefunden. Das Fraunhofer IKTS hat gemeinsam mit Projektpartnern wie der Meyer Werft, dem Motorenhersteller INNIO und dem Schiffsbetreiber EXMAR ein zukunftsweisendes Antriebskonzept entwickelt, das den Großmotor in einen geschlossenen Kohlenstoffkreislauf integriert.

Die Idee: An Land tankt das Schiff Methanol, das sich im Gegensatz zu Wasserstoff problemlos lagern lässt und selbst dann kein Problem für die Umwelt darstellt, wenn sich der Tank im Havarie-Fall komplett entleeren würde. An Bord wird das Methanol mit Wasser durch Dampfreformierung umgesetzt. Bei diesem Prozess entsteht zum einen der benötigte Wasserstoff, der per Membran (hier steckt die Keramik!) abgetrennt wird und durch direkte Verbrennung den Schiffsmotor antreibt. Dabei wird deutlich mehr Wasserstoff frei, als im Methanol selbst gespeichert ist, da auch das Wasser zusätzlichen Wasserstoff liefert. Zum anderen entsteht CO2, das in Tanks eingelagert, an Land abgepumpt, erneut für die Methanolherstellung genutzt wird und somit den Kreislauf schließt.

Das HyMethShip-Prinzip.
© LEC GmbH
Das HyMethShip-Prinzip.

Im Vergleich zum konventionellen Betrieb mit Schweröl kann dieser Antrieb bis zu 97 Prozent des CO2-Ausstoßes und nahezu alle Schwefel- und Feinstaub-Emissionen einsparen. Ende 2021 läuft das Projekt aus. Aktuell wird an der TU Graz eine Pilotanlage für den Testbetrieb bestückt. Softwaregestützt wird der Betrieb optimiert und validiert, um festzustellen ob die gewünschten Emissionsreduktionen und der hohe Systemwirkungsgrad gleichzeitig erreicht werden können. Der nächste Schritt wäre der Testbetrieb in Realbedingungen auf See. Bei Präsentationen und Vorstellungen in der Branche haben die Projektpartner bereits erste Kontakte geknüpft und sind auf der Suche nach weiteren Playern der Schifffahrt, die das HyMethShip-Konzept weitertragen, optimieren und letztendlich einsetzen wollen.
 

 

Underdog mit hohem Potenzial – grünes Ammoniak als Energiespeicher und Kraftstoff


Während Wasserstoff derzeit die Antwort auf fast alle Fragen ist, scheint Ammoniak die Antwort auf eine Frage zu sein, die keiner stellt. Vielen nur für den Einsatz als Düngemittel bekannt, ist Ammoniak bei Insidern jedoch längst ein Geheimfavorit für den klimafreundlichen Schiffsantrieb. Im BMBF-geförderten WIR-Konsortium (WIR – Wandel durch Innovation in der Region) »CAMPFIRE« und im EU-Projekt »HiPowAr« arbeitet das Fraunhofer IKTS mit anderen europäischen Forschungseinrichtungen und Stakeholdern der Schifffahrt an der Etablierung von Ammoniak als synthetischem Kraftstoff ohne CO2-Emissionen.

Die Nutzung von Wasserstoff ist nur »grün«, wenn dieser aus erneuerbaren Energien wie Windkraft erzeugt wird – hier setzten auch die Ammoniak-Projekte an. Etablierte Pfade der Ammoniaksynthese, unter Nutzung des Haber-Bosch-Prozesses, beruhen auf fossilen Brennstoffen. In Zukunft soll Ammoniak dezentral und aus erneuerbaren Energiequellen hergestellt werden. Die chemische Formel von Ammoniak NH3 verrät es: auch hier ist Wasserstoff im Spiel. Besonders effizient ist die H2-Produktion mittels Oxidionen-leitenden Membranen über ein Festkörper-Elektrolyseverfahren (SOEC) aus Wasserdampf. Zusammen mit dem Luft-Stickstoff kann somit grüner Ammoniak überall aus Wasser, Luft und grüner Energie hergestellt werden. Die direkte Synthese von NH3 aus Wasserdampf und Stickstoff mit Protonen-leitenden Membranen erscheint noch vorteilhafter, da der gesamte Prozess in nur einem Reaktor abläuft. Das Verfahren ist einfacher skalierbar und kostengünstiger als der konventionelle Haber-Bosch-Prozess, vor allem aber frei von CO2-Emissionen.

Doch warum Ammoniak? Im Gegensatz zu reinem Wasserstoff, der unter sehr hohen Drücken in Spezialtanks gelagert und transportiert werden muss, ist Ammoniak schon bei 8 bar flüssig und kann daher leicht gespeichert und transportiert werden. Seine Energiedichte ist vergleichbar zu Methanol. Ein weiterer Vorteil: Mit 200 Mio Tonnen pro Jahr gehört Ammoniak zu den meistproduzierten Chemikalien der Welt – die Infrastruktur für Produktion und Transport ist also vorhanden. Ziel der Projekte ist es, Ammoniak in Verbrennungsmotoren und Gasturbinen einzusetzen, es direkt in Brennstoffzellen zu verstromen oder in neuartigen Membranreaktoren direkt zu Antriebsenergie umzusetzen. Und die Abgase? Behandelt man diese mit einer sogenannten selektiven katalytischen Reduktion und zugesetztem NH3 bleibt nur Wasser und Stickstoff.

Eine dekarbonisierte, emissionsfreie maritime Schifffahrt scheint möglich. Begleiten muss die Entwicklung aber auch die Forschung zum sicheren Transport von NH3 und zu möglichen Gegenmaßnahmen, sollte es doch zu einer Havarie kommen. Entscheidend wird auch sein, ob es gelingt, großtechnische Industrieanlagen zur Erzeugung von grünem Ammoniak wirtschaftlich zu betreiben.

Die Vision des CAMPFIRE-Projekts: im Zentrum steht die Erzeugung von grünem Ammoniak als maritimer Kraftstoff und Energiespeicher. (Graphische Zusammenfassung im Rahmen der Konferenz »Zero Emission Ship« am 15.01.2020).
© Tanja Föhr
Die Vision des CAMPFIRE-Projekts: im Zentrum steht die Erzeugung von grünem Ammoniak als maritimer Kraftstoff und Energiespeicher. (Graphische Zusammenfassung im Rahmen der Konferenz »Zero Emission Ship« am 15.01.2020).

Grüner Seeverkehr – nicht nur eine Frage für die Forschung


Das Transportvolumen in der maritimen Schifffahrt steigt weiter an. Strategien wie das »Slow Steaming«, also die Reduzierung der Fahrtgeschwindigkeit, um Treibstoffkosten und Emissionen zur verringern, werden aktuell schon eingesetzt, können aber nur eine mittelfristige Lösung sein. Das sieht auch der Generalsekretär der IMO Kitack Lim so:

»Es wird schwierig sein, die Ziele der IMO in Bezug auf Treibhausgasreduzierung bis 2050 zu erreichen, wenn wir nur auf Energieeinsparung und Geschwindigkeitsreduzierung setzen. Daher wird unter allen projizierten Szenarien im Jahr 2050 ein großer Teil der gesamten CO2-Reduktion aus der Verwendung von kohlenstoffarmen alternativen Kraftstoffen kommen müssen.«

Die Forschenden haben viele Ideen und arbeiten mit Stakeholdern der Schifffahrt an deren Umsetzung. Bei einem Sektor, der 90 Prozent des Welthandels verteilt, sind aber auch die Verbraucher*innen in der Verantwortung. Sie müssen sich nicht nur fragen, ob das Shampoo plastikfrei ist, sondern auch, ob es nachhaltig transportiert wurde.