Forschung aktuell
Durch Kaltsintern lässt sich das Anwendungspotenzial funktionalisierter Keramiken und Verbundwerkstoffe auf Keramikbasis erheblich erweitern. Während beim herkömmlichen Sintern Temperaturen von über 1300 °C erforderlich sind, liegt die Verarbeitungstemperatur beim Kaltsintern typischerweise deutlich unter 300 °C. Das ist möglich, weil hohe Pressdrücke eingesetzt werden. Durch die viel niedrigeren Temperaturen können der Energieverbrauch um den Faktor 10 gesenkt, die Verarbeitungszeit verkürzt und der CO2-Ausstoß verringert werden – das macht das Kaltsintern zu einer attraktiven Option für die Entwicklung neuartiger Werkstoffe.
Zudem ermöglicht das Kaltsintern das simultane Sintern verschiedenster Materialien, die bislang mittels herkömmlicher Sintertechnik nicht realisierbar sind. Das schließt eine Bandbreite von Keramiken, Metallen und insbesondere auch Polymeren ein. Durch stoffschlüssige Kombination dieser unterschiedlichen Materialgruppen bieten sich neue Möglichkeiten der Funktionalität mit erheblichen Vorteilen für die Entwicklung von Biomaterialien. Dazu zählt bspw. die Integration temperaturempfindlicher biologischer Zusatzstoffe oder Arzneimittel in dichte Biokeramiken oder Biometalle, ohne deren strukturelle Integrität oder Wirksamkeit zu beeinträchtigen. Ein weiteres Beispiel ist das direkte Einbringen biokompatibler Metalle, wie Gold oder Platin, in die Biokeramikmatrix, z. B. in Form von Elektroden oder elektrischen Leiterbahnen.
So ist es gelungen, eine Biokeramik auf Hydroxylapatit (HAp)- Basis mit darin eingebetteten elektrisch leitfähigen Bahnen durch Tintenstrahldruck und Kaltsintern herzustellen (Abb. 1). Ausgangsmaterial ist ein selbstentwickeltes HAp-Kompositpulver aus sehr feinen HAp-Nanokristallen, die mit einer Gelatinematrix verwoben sind. Nach dem Kaltsintern erreicht diese Biokeramik eine Dichte von nahezu 99 % (Abb. 2).
Dank der einzigartigen Kombination von Gelatine (denaturiertes Kollagen) und synthetisch hergestelltem HAp sowie der Verarbeitung bei niedrigen Temperaturen konnte eine Biokeramik mit knochenähnlichen mechanischen Eigenschaften hergestellt werden, die Druckfestigkeiten von fast 200 MPa und duktiles Verhalten aufweist (Abb. 3).
Für die Integration von Leiterbahnen in die Biokeramik wurde eine vom Fraunhofer IKTS entwickelte Gold-Nanotinte verwendet. Diese ist Inkjet-verdruckbar, bereits bei geringen Temperaturen von unter 200 °C elektrisch leitfähig und führt zu nachweislich biokompatiblen Leiterbahnen. Eine solche Materialkombination wäre mit herkömmlichen Dickschichtpasten der keramischen Multilayerkeramik (LTCC, HTCC) nicht darstellbar, da diese erst bei hohen Temperaturen von über 700 °C sintern. Zudem bietet Kaltsintern weitere Vorteile, da hierbei auch die Notwendigkeit einer thermischen Entbinderung von Folien- oder Pastenbindern entfällt.
Da Kaltsintern bereits bei 50 °C durchgeführt werden kann, bietet es die Möglichkeit, temperatursensible bioaktive Sub-stanzen zu verarbeiten. Damit soll dieser Ansatz bei der Entwicklung neuartiger funktioneller Implantate helfen, die u. a. die Übertragung und Steuerung elektrischer Muskelsignale durch mehrlagige Biokeramik-Implantate ermöglichen.